Weltweite Beachtung für in Kiel entwickelte Therapie der chronischen Darmentzündungen

Ein wichtiger Meilenstein für das von PMI Cluster-Mitgliedern entwickelte Medikament „Olamkicept“ auf dem Weg zur Zulassung: Das hochrangige Journal of the American Medical Association (JAMA) hat eine Phase-II-Studie veröffentlicht, in der die Wirksamkeit und Verträglichkeit des neuartigen Wirkstoffs bei Patientinnen und Patienten mit Colitis ulcerosa bestätigt wird. JAMA ist die weltweit am weitesten verbreitete medizinische Fachzeitschrift.

„Gratulation zu diesem Erfolg“, sagt Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jens Scholz, Vorstandsvorsitzender (CEO) des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), „denn er zeigt eindrucksvoll, dass es bei uns in Schleswig-Holstein gelingt, die Ergebnisse medizinischer Spitzenforschung als innovative Therapie direkt ans Krankenbett zu bringen.“ Prof. Dr. Joachim Thiery, Dekan der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), ergänzt: „Die erfolgreiche Phase II Studie in JAMA gibt jetzt vielen Patientinnen und Patienten mit Entzündungserkrankungen neue Hoffnung. Der Weg von der Entdeckung eines neuen biochemischen Prinzips bis zur klinischen Anwendung folgt unserem Leitbild der Nachhaltigkeit medizinischer Forschung. Dieser Erfolg ist ein Meilenstein der Präzisionsmedizin.“ Prof. Dr. Stefan Schreiber, Direktor der Klinik für Innere Medizin I des UKSH, Campus Kiel, sagt: „Dass das Funktionieren unseres Therapiemechanismus nun internationale Beachtung findet, ist eine sehr gute Nachricht für Patientinnen und Patienten, denn eine Zulassung rückt in greifbare Nähe.“

Prof. Schreiber ist zugleich Sprecher des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) und Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie der CAU und des UKSH und hat mit seinen Teams die Entwicklung des Wirkstoffes wesentlich vorangetrieben. Der Erfinder des Moleküls, der Kieler Biochemiker Prof. em. Dr. Stefan Rose-John, ist stolz auf den Erfolg, dass sich die jahrzehntelangen Vorarbeiten tatsächlich auf den Menschen übertragen ließen. „Das ist bei weitem nicht selbstverständlich. Viele Moleküle wirken in Tiermodellen, nur selten lassen sich die dort erzielten Erfolge auf den Menschen übertragen. Wir haben mit dem biochemischen Prinzip, das wir gefunden haben, die Tür zu einer ganz neuen Entzündungsmedizin geöffnet“, so Professor Rose-John.

Colitis ulcerosa ist eine chronische, meist in Schüben verlaufende Entzündung des Dickdarms, die geprägt ist von wiederkehrenden Durchfällen, Darmblutungen und Koliken. In Deutschland sind mehr als 150.000 Menschen davon betroffen. Der Entzündung liegt eine fehlgeleitete Immunreaktion zugrunde, bei der das Immunsystem fälschlicherweise Zellen im Dickdarm angreift. Aufgrund der individuell unterschiedlichen Ausprägungen der Erkrankung wirken bisher verfügbare Medikamente nur bei wenigen Betroffenen und verursachen oft Nebenwirkungen, so dass neue Therapieansätze dringend benötigt werden, um auch Erkrankten zu helfen, bei denen bisherige Therapieansätze erfolglos bleiben.

Olamkicept basiert auf einem neuartigen Wirkprinzip, das bisher keines der zugelassenen Medikamente gegen Colitis ulcerosa nutzt. Bei einer Entzündung, wie sie bei Colitis ulcerosa auftritt, wird vom Körper vermehrt das Signalmolekül Interleukin-6 (IL-6) ausgeschüttet. Wenn jedoch − wie bei bisherigen Medikamenten − alle Wirkungen von IL-6 blockiert werden, dämpft dies zwar sehr erfolgreich die Entzündung, gleichzeitig kann aber das Immunsystem durch die Blockade von IL-6 so stark unterdrückt werden, dass der Körper deutlich anfälliger gegenüber Infektionen wird.

Das Besondere an Olamkicept ist, dass es gezielt den sogenannten IL-6-Trans-Signaling Signalweg blockiert. Diesen Signalweg und auch das blockierende Protein sgp130Fc hatte der Kieler Biochemiker Prof. Dr. Stefan Rose-John entdeckt und Pionierarbeit in deren Erforschung geleistet. Er hat zusammen mit Forschenden des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ das sgp130Fc Protein weiterentwickelt, das schließlich als Medikamentenkandidat Olamkicept in klinischen Studien getestet werden konnte. Eine erste Studie mit 16 Patientinnen und Patienten am UKSH, Campus Kiel, konnte 2021 das grundsätzliche Funktionieren des Therapiemechanismus von Olamkicept nachweisen.

Die nun in der renommierten Fachzeitschrift JAMA veröffentlichte Studie konnte abermals die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Olamkicept bei Patientinnen und Patienten mit Colitis ulcerosa aus verschiedenen asiatischen Ländern zeigen. In der Phase-II-Studie des Unternehmens I-Mab Biopharma bekamen 91 Patientinnen und Patienten mit mittelschwerer oder schwerer Colitis ulcerosa entweder ein Placebo, 300 mg Olamkicept pro Tag oder 600 mg Olamkicept pro Tag über zwölf Wochen. Die Studie war doppelt-verblindet, d.h. weder die Patientinnen und Patienten noch die Behandelnden wussten, wer in welcher Gruppe war. Nach den zwölf Wochen zeigten signifikant mehr Personen, die 600 mg Olamkicept bekommen hatten, eine klinische Reaktion (Verbesserung der Symptome oder der endoskopischen Befunde). Bei rund 21 Prozent verschwanden die Symptome komplett (gegenüber 0 Prozent in der Placebo-Gruppe) und bei fast 35 Prozent konnte eine Heilung der Darmschleimhaut festgestellt werden (gegenüber drei Prozent in der Placebo-Gruppe).

Die Ergebnisse wurden erstmals auf der renommierten internationalen gastroenterologischen Fachkonferenz Digestive Disease Week im Dezember 2021 vorgestellt und im März 2023 Fachjournal JAMA veröffentlicht. „Dass die internationale Fachwelt die Studienergebnisse nun im Peer-Review-Verfahren anerkannt hat, ist ein großer Meilenstein für unsere Forschung, deren erklärtes Ziel es ist, Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung zu bringen“, sagt Prof. Schreiber. Die Entwicklung von Olamkicept als Arzeimittel betreibt die pharmazeutische Firma Ferring als Lizenznehmer zusammen mit der Kieler Biotechnologiefirma CONARIS Research Institute AG und der chinesischen Pharmafirma I-Mab Biopharma.

Originalpublikation:

Shenghong Zhang, Baili Chen, …, Stefan Schreiber & Minhu Chen: Effect of Induction Therapy With Olamkicept vs Placebo on Clinical Response in Patients With Active Ulcerative Colitis - A Randomized Clinical Trial; JAMA. 2023;329(9):725-734. doi:10.1001/jama.2023.1084

Grafische Darstellung
© Gastroenterology, AGA Institute

Olamkicept fängt den Komplex aus IL-6 und löslichem Rezeptor aus dem Blut ein und blockiert dadurch den Trans-Signalweg, ohne die positiven Wirkungen von IL-6 über den „klassischen“ Weg zu stören.

Professor Stefan Rose-John
© Tebke Böschen, Exzellenzcluster PMI, Uni Kiel

Professor Stefan Rose-John, Mitglied im Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI), ehemaliger Direktor des Biochemischen Instituts an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und Leiter des Sonderforschungsbereichs 877 „Proteolyse als regulatorisches Ereignis der Pathophysiologie“.

Portraitfoto
© J. Haacks, Uni Kiel

Prof. Dr. Stefan Schreiber, Sprecher des Exzellenzclusters PMI, Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie, CAU und UKSH, und Direktor der Klinik für Innere Medizin I, UKSH, Campus Kiel.

Über den Exzellencluster PMI

Der Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen/Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) wird von 2019 bis 2025 durch die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert (ExStra). Er folgt auf den Cluster Entzündungsforschung „Inflammation at Interfaces“, der bereits in zwei Förderperioden der Exzellenzinitiative (2007-2018) erfolgreich war. An dem neuen Verbund sind rund 300 Mitglieder in acht Trägereinrichtungen an vier Standorten beteiligt: Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Muthesius Kunsthochschule, Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) und Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik), Lübeck (Universität zu Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel (Forschungszentrum Borstel - Leibniz Lungenzentrum).

Ziel ist es, die vielfältigen Forschungsansätze zu chronisch entzündlichen Erkrankungen von Barriereorganen in ihrer Interdisziplinarität verstärkt in die Krankenversorgung zu übertragen und die Erfüllung bisher unbefriedigter Bedürfnisse von Erkrankten voranzutreiben. Drei Punkte sind im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Behandlung wichtig und stehen daher im Zentrum der Forschung von PMI: die Früherkennung von chronisch entzündlichen Krankheiten, die Vorhersage von Krankheitsverlauf und Komplikationen und die Vorhersage des individuellen Therapieansprechens.

Pressekontakt:

Frederike Buhse
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Exzellenzcluster PMI

Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen“
Wissenschaftliche Geschäftsstelle
Leitung: Dr. habil. Susanne Holstein
Christian-Albrechts-Platz 4, D-24118 Kiel
Sonja Petermann
0431/880-4850. Telefax: 0431/880-4894
spetermann@uv.uni-kiel.de
Twitter: PMI @medinflame