Hefepilze als Auslöser veränderter Immunreaktionen bei chronischen Darmentzündungen
Mitglieder des Exzellenzclusters PMI haben herausgefunden, dass eine fehlgeleitete Immunreaktion auf Hefepilze eine wichtige Rolle bei Morbus Crohn spielen könnte.
Chronischen Darmentzündungen liegt eine überschießende oder fehlgeleitete Entzündungsreaktion zugrunde. Fachleute gehen davon aus, dass dabei das Immunsystem fälschlicherweise auch auf Mikroorganismen im Darm reagiert, die im gesunden Zustand keine entzündliche Immunreaktion hervorrufen. Aber welche Mikroorganismen diese Immunantwort auslösen und wie die Immunzellen genau reagieren, ist bislang weitestgehend unbekannt. Nun haben Forschende des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) herausgefunden, dass Hefepilze hierbei eine wichtige Rolle spielen könnten. Ihre Erkenntnisse haben die Forschenden der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, am Montag im renommierten Fachjournal Nature Medicine veröffentlicht.
Billionen von Mikroorganismen besiedeln den menschlichen Körper, insbesondere den Darm. Dieses Mikrobiom besteht überwiegend aus Viren und Bakterien, aber zu einem geringeren Teil auch aus Pilzen. Die Mikroorganismen leben in Symbiose mit dem menschlichen Organismus und sind essenziell für seine gesunde Funktion. Das Immunsystem hat die wichtige und zugleich schwierige Aufgabe mit dem Mikrobiom zu interagieren, d.h. die dort lebenden Mikroben zu tolerieren aber sie gleichzeitig auch in Schach zu halten. Bei der chronischen Darmentzündungen Morbus Crohn ist jedoch nach aktuellem Forschungsstand diese Interaktion gestört: Hier reagieren die Immunzellen zu stark auf bestimmte Bestandteile im Mikrobiom – es kommt zu immer wieder aufflammenden Entzündungen im Darm. Die Betroffenen leiden unter Schmerzen, Durchfall, Fieber und weiteren Symptomen. Schätzungsweise 1 von 200 Menschen ist in Deutschland betroffen.
Bisher wenig beachtet: Hefepilze als Entzündungs-Trigger
Eine wichtige Rolle bei der gestörten Immuntoleranz bei Morbus Crohn spielen T-Zellen. Diese Immunzellen erkennen über einen T-Zell-Rezeptor auf ihrer Oberfläche ganz spezifisch einen Teil einer Mikrobe, ein sogenanntes Antigen, und antworten darauf mit einer entsprechenden Immunreaktionen. „Wir wollten herausfinden, welche Mikroben bei Morbus Crohn eine veränderte T-Zellreaktion auslösen“, erklärt die Erstautorin der Arbeit, Gabriela Rios Martini, Doktorandin in der Forschergruppe von Professorin Petra Bacher am Institut für Immunologie und dem Institut für klinische Molekularbiologie, CAU und UKSH.
Dazu hat das Team sich die Reaktion bestimmter T-Zellen auf verschiedene Mikroben in Blut- und Gewebeproben von Patientinnen und Patienten im Vergleich zu gesunden Menschen angesehen. „Zuerst haben wir die Reaktion auf bestimmte Bakterien untersucht, da diese einen großen Teil des Mikrobioms ausmachen, doch hier konnten wir mit den bislang untersuchten Spezies keine Unterschiede zwischen Erkrankten und Gesunden feststellen“, so Rios Martini weiter. „Dann haben wir uns aber die T-Zellreaktionen auf Hefepilze, wie verschiedene Candida oder Saccharomyces Spezies, angesehen und dort überraschend eine massiv verstärkte T-Zell-Reaktion bei Morbus Crohn-Patientinnen und -Patienten festgestellt.“ Untersucht hatten die Forschenden die Reaktion auf sowohl Hefepilze, die Teil des natürlichen, gesunden Mikrobioms sind, als auch Hefepilze, die vor allem über die Nahrung in den Darm gelangen.
Kreuzreaktivität: T-Zellen reagieren auf viele verschiedene Hefepilze
Um mehr über die funktionellen Eigenschaften der T-Zellen zu erfahren und auch die T-Zell-Rezeptoren zu untersuchen, haben die Forschenden die gegen die Hefepilze reagierenden T-Zellen sequenziert. Bacher und ihr Team haben so festgestellt, dass bei Erkrankten vor allem T-Zellen vorkommen, deren T-Zell-Rezeptoren gegen viele verschiedene Candida und Saccharomyces Spezies reagieren können. „Offenbar erkennen die T-Zellen spezifisch einen bestimmten Teil in diesen verwandten Hefepilzen, der in vielen der untersuchten Spezies vorkommt“, erklärt die federführende Senior-Autorin Professorin Petra Bacher vom Institut für Immunologie und dem Institut für klinische Molekularbiologie, CAU und UKSH. „Das bedeutet, dass die T-Zellen nicht nur auf eine bestimmte Hefe-Spezies reagieren, sondern durch viele verschiedene Candida und Saccharomyces Hefen aktiviert werden können“, so Bacher weiter. In dieser sogenannten Kreuzreaktivität sehen Bacher und ihr Team auch eine Erklärung, warum die Hefe-spezifischen T-Zellen zur chronischen Entzündungsreaktion beitragen könnten.
„Insgesamt deuten unsere Daten darauf hin, dass nach einer anfänglichen T-Zell-Reaktion gegen Hefepilze der wiederholte Kontakt mit Antigenen, die in mehreren Hefepilzen vorkommen, zur Aktivierung und Vermehrung der kreuzreaktiven T-Zellen führt. Die Immunreaktion wird also vermutlich immer wieder ausgelöst, was wahrscheinlich auch zur Chronifizierung der Entzündung beiträgt“ so Bacher. Dabei könnten neben den im Darm lebenden, sogenannten kommensalen Hefepilzen auch die täglich aus der Nahrung aufgenommenen Hefen eine Rolle spielen.
Zukünftig neue therapeutische Ansätze bei Morbus Crohn untersuchen
„Aus den Erkenntnissen ergeben sich auch mögliche neue therapeutische Ansätze“ sagt Professor Stefan Schreiber, Sprecher des Exzellenzclusters PMI und Direktor der Klinik für Innere Medizin I, UKSH, Campus Kiel, und des Instituts für klinische Molekularbiologie, CAU und UKSH, Campus Kiel, mit dessen Zusammenarbeit die Studie durchgeführt wurde. „Die Erkenntnisse helfen uns dabei die Entstehungsmechanismen von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn besser zu verstehen. Hefepilze sind hierbei bislang viel zu wenig beachtet worden. Wir haben erstmals starke Hinweise für eine Beteiligung Hefe-reaktiver T-Zellen an der Entzündungsreaktion bei Morbus Crohn identifiziert. Nun sind weitere Untersuchungen erforderlich, um ihren direkten Beitrag zur Pathophysiologie der Krankheit zu bestimmen“, so Schreiber.
In weiteren Studien wollen die Forschenden nun untersuchen, wie sich der Verzicht auf Hefen in der Ernährung oder die Eliminierung der Hefepilze im Darm durch eine anti-fungale Therapie auswirkt. Ein anderer Ansatz wäre gezielt die kreuzreaktiven Hefe-spezifischen T-Zellen durch zelluläre Therapien außer Gefecht zu setzen. Diese weiterführenden Studien werden klären, ob potenzielle zukünftige Therapien, die direkt auf die Hefepilze im Darm oder auf die Hefe-spezifische T-Zellen abzielen, auch klinisch wirksam sind, so das Forscherteam.
Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Petra Bacher
Institut für Immunologie, Medizinische Fakultät der CAU und UKSH
Institut für klinische Molekularbiologie, Medizinische Fakultät der CAU und UKSH
0431-500-31005
p.bacher@ikmb.uni-kiel.de
Originalpublikation:
Martini, G.R., Tikhonova, E., Rosati, E. et al. Selection of cross-reactive T cells by commensal and food-derived yeasts drives cytotoxic TH1 cell responses in Crohn’s disease. Nat Med (2023). https://doi.org/10.1038/s41591-023-02556-5
Über den Exzellenzcluster PMI
Der Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen/Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) wird von 2019 bis 2025 durch die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert (ExStra). Er folgt auf den Cluster Entzündungsforschung „Inflammation at Interfaces“, der bereits in zwei Förderperioden der Exzellenzinitiative (2007-2018) erfolgreich war. An dem neuen Verbund sind rund 400 Mitglieder in acht Trägereinrichtungen an vier Standorten beteiligt: Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Muthesius Kunsthochschule, Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) und Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik), Lübeck (Universität zu Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel (Forschungszentrum Borstel - Leibniz Lungenzentrum).
Ziel ist es, die vielfältigen Forschungsansätze zu chronisch entzündlichen Erkrankungen von Barriereorganen in ihrer Interdisziplinarität verstärkt in die Krankenversorgung zu übertragen und die Erfüllung bisher unbefriedigter Bedürfnisse von Erkrankten voranzutreiben. Drei Punkte sind im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Behandlung wichtig und stehen daher im Zentrum der Forschung von PMI: die Früherkennung von chronisch entzündlichen Krankheiten, die Vorhersage von Krankheitsverlauf und Komplikationen und die Vorhersage des individuellen Therapieansprechens.
Pressekontakt:
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Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen“
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