Resistenter Tuberkulosestamm: Von Tests übersehen und schwer behandelbar

Forschungsteam mit Beteiligung des Exzellenzclusters PMI identifiziert multiresistenten Tuberkulosestamm im südlichen Afrika, der mit modernem Standardtest nicht erkannt wird und auch gegen neues Antibiotikum resistent ist.

Weltweit erkranken fast 9 Millionen Menschen pro Jahr an Tuberkulose (TB), sie gehört damit neben HIV/Aids und Malaria zu den häufigsten Infektionserkrankungen. Etwa 1,4 Millionen Menschen sterben pro Jahr an den Folgen dieser Krankheit. Eines der größten Probleme bei der Behandlung stellt die zunehmende Resistenzentwicklung dar: Der auslösende Erreger, das Mycobacterium tuberculosis, wird immer häufiger unempfindlich gegenüber den angewandten Antibiotika, – die Bakterien lassen sich dann nicht mehr mit diesen Medikamenten bekämpfen. Auch Eswatini (vorher: Swasiland) im südlichen Afrika, ist ein Land mit hoher TB-Rate (363 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner), etwa 9% der Erkrankten sind mit einer multiresistenten Variante infiziert. Forschende unter Beteiligung des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) haben gezeigt, dass mehr als ein Drittel der multiresistenten Tuberkulose-Fälle in Eswatini durch einen TB-Ausbruchsstamm verursacht werden, der mit den aktuell verwendeten Tests nicht nachgewiesen werden kann. Darüber hinaus, sind demnach mehr als die Hälfte der aus Patientinnen und Patienten isolierten Erreger dieses Ausbruchsstammes unempfindlich gegenüber dem neuen Antibiotikum Bedaquilin und dem für die Therapie von multiresistenten Erregern wichtigen Antibiotikum Clofazimin.  Ihre Ergebnisse hat das Forschungsteam um Professor Stefan Niemann vom Forschungszentrum Borstel – Leibniz Lungenzentrum und dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) vor kurzem in der Fachzeitschrift Genome Medicine veröffentlicht.

Standardtest übersieht ein Drittel der multiresistenten TB-Erreger in Eswatini

Das internationale Forschungsteam hat multiresistente TB-Stämme, die in zwei Zeitperioden (2009-2010, 2014-2017) in Eswatini aus Erkrankten isoliert wurden, mittels Gesamtgenomsequenzierung untersucht. Die Analyse zeigt, dass mehr als 30 % der untersuchten Isolate zu einem bestimmten Ausbruchstamm gehören, der aufgrund einer spezifischen Veränderung im Erbgut, also einer Mutation, von dem landesweit üblichen Diagnosetest nicht als multiresistent erkannt wird. In Eswatini wird zum Nachweis multiresistenter TB standardmäßig der von der WHO empfohlene sogenannte Xpert MTB/RIF-Test eingesetzt. „Dass der Erregerstamm von diesem Test nicht als multiresistent erkannt wird, hat zur Konsequenz, dass die Patientinnen und Patienten fälschlicherweise als empfindlich gegenüber Antibiotika eingestuft und mit Standardantibiotika behandelt werden, was erfolglos bleibt. Dadurch kann sich der Erreger auch schneller weiterverbreiten“, sagt der federführende Autor Prof. Niemann, der auch einen Schleswig-Holstein Excellence Chair innehat sowie Mitglied des geschäftsführenden Vorstands des Exzellenzclusters PMI und Sprecher des Leibniz Science Campus EvoLUNG ist.

Tuberkulose-Stamm ist auch gegen zwei neueingesetzte Antibiotika resistent

Die Hälfte der Isolate, die diesem multiresistenten Ausbruchsstamm zuzuordnen waren, wiesen zusätzlich Resistenzen gegen das neue Antibiotikum Bedaquilin auf, sowie gegen das Antibiotikum Clofazimin, das erst seit kurzem gegen multiresistente TB-Erreger verwendet wird. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Resistenzen schon vorhanden waren, bevor die Medikamente in Einsatz gekommen sind und sich also nicht erst durch den Kontakt des Erregers zu dem Antibiotikum durch Mutationen entwickelt haben, wie wir das sonst von Resistenzen kennen“, sagt einer der Erstautoren Dr. Patrick Beckert, leitender Wissenschaftler dieser Studie am Forschungszentrum Borstel.

„Unsere Beobachtung macht deutlich, dass neuartige Anti-TB-Wirkstoffe nicht wie bisher angenommen bei allen TB-Stämmen gleichermaßen gut wirken. Es können durchaus TB-Stämme vorhanden sein, die auch gegenüber neuentwickelten Mitteln bereits unempfindlich sind“, sagt Niemann. „Da der von uns beschriebene Ausbruchsstamm zusätzlich eine sehr hohe Resistenzrate gegen klassische TB-Medikamente aufweist, ist die Behandlung von Infizierten mit diesem Stamm sehr schwierig und erfordert eine umfassende Resistenzdiagnose und eine maßgeschneiderte medikamentöse Therapie“, so Niemann weiter.

Neue diagnostische Verfahren nötig

Die Ergebnisse stellen außerdem die Rolle molekularer Schnelltests wie Xpert MTB/RIF in Regionen mit häufigem Vorkommen solcher Isolate in Frage und unterstreichen die Bedeutung von Methoden, die alle multiresistenten TB-Fälle nachweisen können, wie beispielsweise die Genomsequenzierung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten deshalb in dem vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten SeqMDRTB_NET-Projekt im Rahmen des „Global Health Protection Programme“ eng mit den lokalen Verantwortlichen zusammen, um neue diagnostische Verfahren basierend auf der Erbgutanalyse von Tuberkulosestämmen in Eswatini zu etablieren und dadurch die diagnostischen Kapazitäten im Land zu stärken.

Wissenschaftlicher Kontakt:

Prof. Dr. Stefan Niemann
Forschungszentrum Borstel
04537-188 7620
sniemann@fz-borstel.de

Portrait Foto
© Gunnar Dethlefsen/EvoLung

Prof. Stefan Niemann, Forschungszentrum Borstel und Deutsches Zentrum für Infektionsforschung, Schleswig-Holstein Excellence Chair an der Universität zu Lübeck, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand des Exzellenzclusters PMI und Sprecher des Leibniz Science Campus EvoLUNG.

Mikroskopische Aufnahme
© S. Homolka, Forschungszentrum Borstel

Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Mycobacterium tuberculosis-Stamms in 13.000facher Vergrößerung.

Originalpublikation:

P. Beckert*, E. Sanchez-Padilla*, M. Merker* et al.: MDR M. tuberculosis outbreak clone in Eswatini missed by Xpert has elevated bedaquiline resistance dated to the pre-treatment era. Genome Med 12, 104 (2020). https://doi.org/10.1186/s13073-020-00793-8
*Diese Autor*innen trugen gleichermaßen zur Arbeit bei

Über den Exzellencluster PMI

Der Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen/Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) wird von 2019 bis 2025 durch die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert (ExStra). Er folgt auf den Cluster Entzündungsforschung „Inflammation at Interfaces“, der bereits in zwei Förderperioden der Exzellenzinitiative (2007-2018) erfolgreich war. An dem neuen Verbund sind rund 300 Mitglieder in acht Trägereinrichtungen an vier Standorten beteiligt: Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Muthesius Kunsthochschule, Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) und Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik), Lübeck (Universität zu Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel (Forschungszentrum Borstel - Leibniz Lungenzentrum).

Ziel ist es, die vielfältigen Forschungsansätze zu chronisch entzündlichen Erkrankungen von Barriereorganen in ihrer Interdisziplinarität verstärkt in die Krankenversorgung zu übertragen und die Erfüllung bisher unbefriedigter Bedürfnisse von Erkrankten voranzutreiben. Drei Punkte sind im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Behandlung wichtig und stehen daher im Zentrum der Forschung von PMI: die Früherkennung von chronisch entzündlichen Krankheiten, die Vorhersage von Krankheitsverlauf und Komplikationen und die Vorhersage des individuellen Therapieansprechens.

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Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Exzellenzcluster PMI

Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen“
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