Pestfall vor 5000 Jahren in Lettland: Keine Hinweise auf damalige Epidemie

Ein Forschungsteam der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat anhand von DNA eines 5000 Jahre alten Pestfalls neue Hinweise zur Evolution des Erregers gefunden.

Die Pest, die im späten Mittelalter eine Pandemie auslöste und als „schwarzer Tod“ geschätzte 25 Millionen Todesopfer weltweit forderte, wird von dem Bakterium Yersinia pestis (Y. pestis) ausgelöst, das vor allem in Nagetieren vorkommt und durch Flöhe auf den Menschen und auch von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Mittlerweile weiß man, dass der Erreger auch schon deutlich früher immer wieder Menschen infizierte, doch wie er genau entstanden ist, und wann er für die Menschen gefährlich wurde, ist Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Ein Team der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie (ZBSA), Schloss Gottorf, und dem Institut für Lettische Geschichte der Lettischen Universität Riga (LVI) nun in den Überresten eines Mannes, der vor 5000 Jahren im jetzigen Lettland gelebt hatte, das Genom des Pesterregers nachgewiesen. Die Analysen geben Aufschluss über die sehr frühen Phasen der Evolution von Y. pestis. So zeigen die Ergebnisse, dass, anders als bisher angenommen, die Bakterien bereits zu Beginn der Jungsteinzeit Menschen infiziert haben, aber vermutlich nur ein begrenztes Infektionspotenzial hatten, sie sich hier also noch nicht im Rahmen einer Epidemie verbreiten konnten. Die Ergebnisse hat das Team vor kurzem/heute im Fachjournal Cell Reports veröffentlicht.

Die Forschenden hatten die Überreste von vier Individuen genetisch untersucht, die alle an der gleichen Stelle auf dem Riņņukalns am Burtnieksee, Lettland, vor rund 5000 Jahren bestattet worden waren. „Bisher war wenig bekannt über die Jäger, Fischer und Sammler, die zu dieser Zeit in Nordosteuropa lebten, und über ihre Belastung durch Infektionskrankheiten“, erklärt der federführende Autor Professor Ben Krause-Kyora, Biochemiker und Archäologe am Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) der CAU, Mitglied in den Exzellenzclustern „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) und „ROOTS – Social, Environmental, and Cultural Connectivity in Past Societies“ sowie im Sonderforschungsbereich (SFB) 1266 „TransformationsDimensionen“. Mit der in Kiel etablierten speziellen Analysemethode untersuchte das Team die alte DNA aus den Überresten, wie beispielsweise Zähne und Knochen, nach bakteriellen und viralen Krankheitserregern. Dabei identifizierten sie in einem männlichen Individuum Teile des Genoms von Y.pestis, dem Pesterreger.

Da nach so vielen Jahren die DNA in den Knochen nur noch in Bruchstücken vorhanden ist, mussten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Genom des Bakteriums aus den einzelnen Fragmenten wieder zusammensetzen. Das rekonstruierte Genom haben sie mit genetischen Informationen jüngerer Pest-Stämme verglichen, um zu erfahren, woher der lettische Stamm kommt und wie und wann er entstanden sein muss. So datierten sie den Ursprung dieses Erregerstamms auf den Anfang der Jungsteinzeit vor circa 7000 Jahren. Damit ist der untersuchte Stamm der bisher früheste in der Evolution des Pesterregers. „Unsere Schätzung liegt damit rund 1000 Jahre früher als bisher vermutet“, sagt Mitinitiator Dr. Harald Lübke, Wissenschaftler am Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie, Schloss Gottorf, und Mitglied im SFB 1266.

Ausgangslage für die Arbeit war die bisherige wissenschaftliche Annahme, dass es bereits in der Jungsteinzeit Pest-Epidemien gab. „Wir waren auf der Suche nach Faktoren, die Krankheitserreger generell dazu befähigen, Epidemien auszulösen. Das wollten wir am Pesterreger genauer untersuchen“, erklärt Krause-Kyora. „Doch anders als erwartet unterstützen unsere Daten die bisherige Hypothese einer Lungenpestpandemie in dieser Zeit nicht. Stattdessen weisen unsere Analysen darauf hin, dass diese sehr frühe Form des Pesterregers wahrscheinlich weniger übertragbar und möglicherweise sogar weniger virulent war als spätere Stämme“, so Krause-Kyora weiter. Die geografische und zeitliche Verteilung der wenigen, bisher berichteten prähistorischen Pestfälle deutet stattdessen eher auf einzelne sogenannte Zoonosen hin, also Infektionen, bei denen der Erreger direkt vom Tier auf den Menschen übergegangen ist. Das Potential eine Epidemie oder gar weltweite Pandemie auszulösen, hat der Erreger demnach erst später entwickelt. „Aus archäologischer Sicht ist dieser Befund wichtig, da er nahelegt, dass Infektionen mit dem Pestbakterium nicht zu großflächigen transformativen gesellschaftlichen oder politischen Veränderungen in der Jungsteinzeit geführt haben,“ sagt Professor Johannes Müller, Sprecher des SFB 1266, des Exzellenzclusters ROOTS und Leiter des Institutes für Ur- und Frühgeschichte der CAU.

„Die Ergebnisse tragen auch zu einem besseren Verständnis darüber bei, wie Zoonosen entstanden sind und entstehen und wie sich daraus wiederum Epidemien und Pandemien entwickeln können“, sagt Professor Stefan Schreiber, Sprecher des Exzellenzclusters PMI, Direktor des IKMBs und Direktor der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel.

Die Erforschung alter menschlicher DNA und alter Krankheitserreger im Allgemeinen kann darüber hinaus auch zu einem besseren Verständnis moderner Erkrankungen, wie chronischer Entzündungserkrankungen beitragen. Während die Infektionen das Immunsystem von Menschen in früheren Jahrtausenden aufgrund der Lebensbedingungen wie Hygiene und Ernährung stark forderten, führt heutzutage häufiger ein fehlgeleitetes Immunsystem zu chronischen Entzündungen. Evolutionär könnte das zusammenhängen. „Wir können moderne Erkrankungen des Immunsystems und ihre Ursprünge besser verstehen, wenn wir mehr über die Krankheitserreger wissen, die früher das menschliche Immunsystem besonders gefordert haben. Daher ist ihre Erforschung auch schon lange ein wichtiges Element im Exzellenzcluster PMI“, sagt Schreiber.

Das Projekt wurde unterstützt durch den Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI), den Exzellenzcluster ROOTS sowie den Sonderforschungsbereich 1266 „TransformationsDimensionen“; die archäologischen Forschungen zum Fundplatz Riņņukalns sind Bestandteil des Forschungsprojektes „Riņņukalns, a Neolithic freshwater shell midden site in northern Latvia and its significance for cultural development of the Eastern Baltic Stone Age“ des ZBSA in Kooperation mit dem LVI; alle gefördert von der DFG.

Wissenschaftlicher Kontakt:

Prof. Dr. Ben Krause-Kyora
Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB)
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
0431 500-15142
b.krause-kyora@ikmb.uni-kiel.de

Originalpublikation:

Susat et al.: A 5,000-year-old hunter-gatherer already plagued by Yersinia pestis.Cell Reports (2021). https://www.cell.com/cell-reports/fulltext/S2211-1247(21)00645-8 DOI: 10.1016/j.celrep.2021.109278

Kieferknochen mit Zähnen
© Dominik Göldner, BGAEU, Berlin

Kieferknochen des Mannes, der vor rund 5000 Jahren in Riņņukalns, Lettland, begraben worden ist. Aus diesem Material hat das Forschungsteam Überreste des Ergbuts des Pesterregers nachgewiesen.

Reste eines Schädelknochens
© Dominik Göldner, BGAEU, Berlin

Schädelknochen des Mannes, der vor rund 5000 Jahren in Riņņukalns, Lettland, begraben worden ist. In diesen Knochen hat das Forschungsteam den Pesterreger nachgewiesen.

Person an Laborbank
© B. Krause-Kyora, Uni Kiel.

Das Ancient-DNA-Labor, also das Speziallabor für antike DNA, ist Teil des Instituts für Klinische Molekularbiologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Sein Herzstück ist der Reinraum, der benötigt wird, um die geringen Mengen an hochgradig degradierter DNA zu verarbeiten, die typischerweise in alten Skelettresten gefunden werden.

Flussufer mit Baum
© Harald Lübke, ZBSA, Schloss Gottorf

Der Fundplatz Riņņukalns, ein steinzeitlicher Muschelhaufen am Flussufer der Salaca nahe des Ausflusses aus dem Burtnieksee.

Frederike Buhse
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Exzellenzcluster PMI
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Dr. Franziska Faupel
Wissenschaftliche Koordinatorin SFB 1266 "TransformationsDimensionen"
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Über den Exzellencluster PMI

Der Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen/Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) wird von 2019 bis 2025 durch die Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert (ExStra). Er folgt auf den Cluster Entzündungsforschung „Inflammation at Interfaces“, der bereits in zwei Förderperioden der Exzellenzinitiative (2007-2018) erfolgreich war. An dem neuen Verbund sind rund 300 Mitglieder in acht Trägereinrichtungen an vier Standorten beteiligt: Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Muthesius Kunsthochschule, Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) und Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik), Lübeck (Universität zu Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel (Forschungszentrum Borstel - Leibniz Lungenzentrum).

Ziel ist es, die vielfältigen Forschungsansätze zu chronisch entzündlichen Erkrankungen von Barriereorganen in ihrer Interdisziplinarität verstärkt in die Krankenversorgung zu übertragen und die Erfüllung bisher unbefriedigter Bedürfnisse von Erkrankten voranzutreiben. Drei Punkte sind im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Behandlung wichtig und stehen daher im Zentrum der Forschung von PMI: die Früherkennung von chronisch entzündlichen Krankheiten, die Vorhersage von Krankheitsverlauf und Komplikationen und die Vorhersage des individuellen Therapieansprechens.

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