Bakterienbesiedlung der Lunge hängt auch vom Wirtsgenom ab

Forschende der Uni Kiel und des Forschungszentrums Borstel haben mit modernen Analysemethoden relevante Varianten in bekannten Krankheitsgenen identifiziert.

Die Lunge ist keineswegs steril, wie lange Zeit angenommen wurde. Tatsächlich beherbergt sie ein vielfältiges mikrobielles Ökosystem. Aus früheren Studien ist bekannt, dass Veränderungen im Lungenmikrobiom mit Krankheiten wie zystischer Fibrose, Asthma oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) assoziiert sind. Wichtige Faktoren für Aufbau und Stabilität der Mikrobengemeinschaft in der Lunge sind Umweltfaktoren wie zum Beispiel Rauchen, die Ernährung im Säuglingsalter oder die Einnahme von Antibiotika. Wie die Genetik des Wirts das Lungenmikrobiom beeinflusst, ist bisher noch wenig erforscht. Das liegt vor allem daran, dass es einerseits schwer ist, an Proben des Lungensekrets zu kommen und andererseits die Mikroorganismen in relativ geringer Anzahl vorkommen. Daher hat ein Forschungsteam des Leibniz WissenschaftsCampus „EvoLUNG“ unter Leitung von Professor John Baines das Lungenmikrobiom im Mausmodell detailliert untersucht.

„Wir haben die Verbindungen zwischen einzelnen Bakterienspezies in der Lunge und Markern im Wirtsgenom untersucht, um Gene zu identifizieren, die die Lungenbakterien beeinflussen und möglicherweise eine Rolle bei der Krankheitsanfälligkeit spielen“, erklärt Baines, der die Arbeitsgruppe Evolutionäre Medizin an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und dem Plöner Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie leitet. Insgesamt wurden sieben Genregionen für acht bakterielle Merkmale gefunden. „Wir konnten mehrere vielversprechende Gene identifizieren, die mit Immun- und Entzündungsreaktionen, Lungenfunktion und Krankheitsanfälligkeit zusammenhängen“, so Baines. Die kürzlich in der Fachzeitschrift Animal Microbiome veröffentlichte Arbeit wurde auch durch den Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) und den Sonderforschungsbereich „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ (SFB 1182) gefördert.

Anzahl von Lactobazillen variiert in Abhängigkeit von Interleukin 10-Gen

In der Untersuchung kamen modernste molekularbiologische Analysemethoden zum Einsatz, die auch bei Vorliegen einer geringen Biomasse vorhandene Bakterienspezies in der Lunge der untersuchten Mäuse mengenmäßig erfassten. „Unsere Studie liefert den ersten Beweis für eine Rolle der genetischen Variation des Wirts, die zu Veränderungen in der Zusammensetzung des Lungenmikrobioms beiträgt“, erklärt Ko-Autorin Dr. Meriem Belheouane vom Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum (FZB). So habe sich gezeigt, dass die Menge an Lactobacillen in der Lunge stark mit einer bestimmen Genregion assoziiert ist, die das Gen für den entzündungshemmenden Botenstoff Interleukin 10 enthalte. Dieser Befund wurde in Tieren bestätigt, bei denen das Gen für Interleukin 10 (IL-10) ausgeschaltet war. Belheouane: „IL-10-Knockout-Mäuse hatten weniger Lactobacillen als die Tiere ohne Knockout.“ Auch für die Anzahl von Pelomonas, eine andere häufige Bakterienart in der Lunge, wurden genetischen Varianten des Wirts gefunden. Die funktionelle Bedeutung dieser Bakterienarten könne möglicherweise für künftige präventive oder therapeutische Zwecke genutzt werden.

Text: Kerstin Nees

Wissenschaftlicher Kontakt:

Prof. John Baines
Leiter Sektion Evolutionäre Medizin,
Institut für Experimentelle Medizin, CAU
0431/500-30310
baines@iem.uni-kiel.de

Wissenschaftlicher Kontakt:

Dr. Meriem Belheouane
Evolution des Resistoms,
Programmbereich Infektionen, FZB
04537/188-7550
mbelheouane@fz-borstel.de

Eine Lunge in graphischer Form
© Pixabay

Motivbild.

Test

John Baines, CAU-Professor für Evolutionäre Genomik, leitete die Studie innerhalb des interdisziplinären Forschungsnetzwerks EvoLUNG

Portrait einer Frau
© Gunnar Dethlefsen/EvoLUNG

Ko-Autorin Dr. Meriem Belheouane vom Forschungszentrum Borstel

Originalpublikation:

C. J. Chung, B.M. Hermes, Y. Gupta, S. Ibrahim, Meriem Belheouane and John Baines. Genome-wide mapping of gene-microbe interactions in the murine lung microbiota based on quantitative microbial profiling. Animal Microbiome (2023). https://doi.org/10.1186/s42523-023-00250-y

Über EvoLUNG

Trotz großer Fortschritte in Diagnostik und Behandlung sind Lungenerkrankungen weltweit auf dem Vormarsch und gehören zu den häufigsten Todesursachen. Ziel des Leibniz-WissenschaftsCampus "Evolutionary Medicine of the Lung (EvoLUNG)" ist es, die Entstehung und Entwicklung chronischer Lungenerkrankungen wie Tuberkulose oder Asthma besser zu verstehen. Dazu untersuchen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in interdisziplinären Teams zum einen die Ausbreitung und Herkunft multiresistenter Erreger in der Lunge. Sie erforschen andererseits die Evolution von Genvarianten des Menschen, die Lungenerkrankungen begünstigen, sowie das komplexe Zusammenspiel von Krankheitsgenen, Mikroorganismen, Krankheitserregern und Umweltfaktoren bei der Entstehung von Erkrankungen der Lunge. Langfristig sollen in EvoLUNG bessere Diagnostika entwickelt und Therapien für Erkrankungen wie Asthma, Tuberkulose, zystische Fibrose oder chronische Bronchitis verbessert werden. Ein besonderer Fokus liegt auf der Vermeidung der Resistenzentwicklungen im Verlauf der Tuberkulose oder der zystischen Fibrose sowie auf einem besseren Verständnis der Rolle der körpereigenen Mikrobiota bei der Entstehung von Asthma. EvoLUNG wird von Professor Stefan Niemann vom Forschungszentrum Borstel (FZB) geleitet und umfasst neben dem FZB auch die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und das Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön (MPI-EB).

Über Kiel Life Science (KLS)

Das interdisziplinäre Zentrum für angewandte Lebenswissenschaften – Kiel Life Science“(KLS) – vernetzt an der CAU Forschungen aus den Agrar- und Ernährungswissenschaften, den Naturwissenschaften und der Medizin. Es bildet einen von vier Forschungsschwerpunkten an der Universität Kiel und will die zellulären und molekularen Prozesse besser verstehen, mit denen Lebewesen auf Umwelteinflüsse reagieren. Im Mittelpunkt der Forschung stehen Fragen, wie sich landwirtschaftliche Nutzpflanzen an spezielle Wachstumsbedingungen anpassen oder wie im Zusammenspiel von Genen, dem individuellen Lebensstil und Umweltfaktoren Krankheiten entstehen können. Gesundheit wird dabei immer ganzheitlich im Kontext der Evolution betrachtet. Unter dem Dach des Forschungsschwerpunkts sind derzeit rund 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 40 Instituten und sechs Fakultäten der CAU als Vollmitglieder versammelt.

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Referent für Wissenschaftskommunikation